von Jan Preuß
Kaum sind die Sommerferien vorbei, ist im Schulministerium plötzlich hektische Aktivität zu verzeichnen. Denn: Ein neues Schuljahr beginnt, aber die Probleme bei G8 (euphemistisch auch ,,Turbo-Abi“) sind keineswegs gelöst.
Die Volksinitiative ,,G9 jetzt“ erkannte das schon früh. Besorgte Eltern und Vertreter verschiedener Verbände hatten fast 100.000 Stimmen gegen den eigentlich besser als ,,Abhetz-Abitur“ zu bezeichnenden Abschluss gesammelt. Genutzt hat es nichts; Grüne, SPD und FDP lehnten das Anliegen im Landtag natürlich rundheraus ab. Der („Zehn-Punkte“-)Plan lag ja schon auf dem Tisch. Und was hatte man sich nicht alles vorgenommen: Den Lehrplan ,,entschlacken“ (klingt immer gut, heißt aber vor allem weniger Unterrichtsstoff!), weniger Hausaufgaben, weniger Nachmittagsunterricht, weniger Klassenarbeiten.
Also vor allem ein WENIGER. Aber der Frust wurde mehr, und das zurecht. Nicht nur bei G8-, sondern auch bei G9-Schülern. Denn Abitur bedeutet nicht nur eine bestandene Abschlussprüfung, sondern es bedeutet lange Jahre lernen, lernen auf höchstem Niveau. Wenn nun in den G8-Schulen überall das ,,Weniger“ als Vorzeichen steht, wirft das natürlich die Frage auf, ob die Abschlüsse überhaupt noch gleichwertig sind. Theoretisch sollen zwar die Themen der Klassenarbeiten in den Unterricht verlagert oder diese durch mündliche Prüfungen ersetzt werden, aber in der Realität ist so etwas, das weiß jeder Praktiker, dann doch illusorisch. Es muss immer individuell nachgearbeitet werden.
Eine sog. „Lehrplanentschlackung“ würde übrigens im Umkehrschluss bedeuten, dass G9-Schüler noch ganz viele überflüssiges Themen lernen – die man ja dann schließlich auch herausstreichen müsste! Man merkt also schon ganz deutlich die logischen Brüche in den Plänen des Schulministeriums.
G8-Schüler würden in Zukunft deshalb für ihr Abitur möglicherweise einfach nicht so viel leisten müssen wie G9-Schüler. Hier besteht nun die Gefahr einer Entwicklung zum Abitur Light, evtl. ähnlich dem Fachabitur, das ja auch nur acht Jahre hat. G9-Schüler könnten G8-Schülern bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen vorgezogen werden. Gerecht? Nein.
Doch selbst dieser (bildungs-)ungerechte Plan geht nicht auf. Und so, man glaubt es kaum, erwägt die NRW-SPD im Zweifel dann doch die Abkehr vom ehemals einzig seligmachenden G8-Abitur der Rüttgers-Ära. Dies fordert die AfD für NRW schon länger.
Warum aber war vor 10 Jahren denn G8 so populär?
Zunächst muss man wissen, dass in der NRW-Bildungslandschaft „NEU“ oft gleichgesetzt wird mit „GUT“. Neue Unterrichtsmethoden werden bspw. von den Studienseminaren relativ kommentarlos übernommen und propagiert – ohne je in breiter Anwendung erforscht worden zu sein.
G8 schien also frischen Wind und den Vorteil eines Jahres Schule (und Kindheit!) weniger zu bringen. Dabei war die Idee alles andere als neu:
Schon einmal, im Jahre 1936, wurde per Erlass das Abitur auf 8 Jahre verkürzt. Man handelte kurzfristig und kurzsichtig, um schnell einen weiteren Jahrgang Offiziere zu bekommen. Bildung wurde, wie auch in der DDR, zweckgebunden betrachtet, und nicht wie in der Bundesrepublik als höheres Gut an sich. Deshalb hatte man im Westen nach dem 2. Weltkrieg aus gutem Grund das Abitur wieder auf neun Jahre erweitert. Gut Ding will Weile haben, könnte man auch sagen.
Nun muss man aber wissen, dass die oben genannten Bildungseinsparungen bei G8 nicht die Sekundarstufe II betreffen – obwohl man ja erwarten sollte, dass annähernd erwachsene Schüler eher in der Lage sind, ihr Lernen selbst zu organisieren und evtl. oberflächlich behandelte Inhalte weiter zu vertiefen. Aber die Oberstufe behielt ihre drei Jahre ohne Einschränkung.
Nein, ein gesamtes Jahr weggekürzt wurde in der Sekundarstufe I. Der Stress des „Turbos“ fällt also zzt. mitten in die Pubertät der Schüler! Eine Zeit, in der man selbstorganisiertes Lernen mitnichten erwarten kann! Ich selbst hatte mit 14 Jahren ja durchaus auch andere Interessen.
Wollen wir aber Menschen aus unseren Kindern machen oder Lernmaschinen?
G8 ist nicht kategorisch abzulehnen, sollte aber die Ausnahme sein und nur in einigen wenigen ausgewählten Schulen mit leistungsstarken Schülern Anwendung finden. Denn jeder Abiturient muss die Zeit bekommen, zu einer vollständigen Persönlichkeit heranzureifen. Er darf nicht in eine schulische Zwangsjacke gesteckt werden und er muss die Chance haben, die Schule umfassend gebildet zu verlassen – denn immerhin nennt sich der angestrebte Abschluss die Allgemeine Hochschulreife.
Und diese hat heute noch einen guten Ruf, den sie auch behalten soll.
Jan Preuß ist Studienrat an einem Berufskolleg mit gymnasialer Oberstufe und bildungspolitischer Sprecher der AfD-Gruppe im Rat der Stadt Gelsenkirchen